Zuerst das Selbstmitgefühl

Wer von uns hat es gelernt, liebevoll mit sich selbst umzugehen? Selbstmitgefühl ist bislang kaum ein Thema in Familie, Schule und Gesellschaft. Traditionell war eher das Gegenteil gefragt: jede und jeder möge sich zuerst um andere kümmern und wenn dann noch Zeit ist, kommen wir selbst. So geschieht es, dass viele Menschen sich überlastet fühlen und manchmal kaum mehr den Alltag bewältigen können. 

 

Schale der Liebe 

Wenn du vernünftig bist, erweise dich als Schale,

nicht als Kanal, der fast gleichzeitig empfängt und weitergibt, 

während jene, die Schale, wartet, bis sie gefüllt ist.

Auf diese Weise gibt sie das, was bei ihr überfließt, 

ohne eigenen Schaden weiter.

Lerne auch du, nur aus der Fülle auszugießen, 

und habe nicht den Wunsch freigiebiger als die unerschöpfliche Quelle zu sein. 
Die Schale ahmt die Quelle nach.

Erst wenn sie mit Wasser gesättigt ist, strömt sie zum Fluss.

Tue das Gleiche! Zuerst anfüllen, dann ausgießen.

Die gütige und kluge Liebe ist gewohnt überzuströmen,

nicht auszuströmen.

Ich möchte nicht reich werden, während du dabei leer wirst.

Wenn du nämlich mit dir schlecht umgehst, wem bist du dann gut?

Wenn du kannst, hilf mir aus deiner Fülle; wenn nicht, schone dich.

 

(nach Bernard v. Clairvaux)

 

 



 

Wir selbst sind in der Verantwortung, uns im Inneren mit allem zu nähren, was wir brauchen, um kraft- und vertrauensvoll das Leben zu meistern. Es bedeutet, wieder in Kontakt zu treten mit unserer inneren Stimme, die uns den Weg weist. Hinter Wut und Groll steckt ein zutiefst verängstigtes inneres Kind, das in den alten Abwehrmechanismen feststeckt. Es gilt, dieses innere Kind in die Gegenwart zu holen und das kann jeder von uns nur für sich selbst tun. So nähern wir uns unserer inneren Quelle an und sind in der Lage, aus dieser Fülle zu schöpfen. Bis dahin ist es ein Lern- und Erfahrungsprozess. 

 

Helfen wird uns das gegenseitige Verständnis, dass wir alle damit zu tun haben. Und vor allem die Akzeptanz, auch und vielleicht gerade, wenn jemand außer sich ist. 

Annahme ist die Voraussetzung für Mitgefühl und das Fühlen der Betroffenheit für sich und damit auch für andere. Denn die Ablehnung haben wir alle erfahren und es ist so überaus heilsam, auch mit den von uns ungeliebten Eigenschaften angenommen zu sein. Das ebnet den Weg für Neues. Es ist die männliche Energie in uns allen, die ausschließlich aus dem Verstand heraus das Miteinander organisieren will. Die weibliche Energie des Mitfühlens, der Anteilnahme, der Selbstfürsorge öffnet das Herz füreinander. Trennung lässt uns Härte und Kälte empfinden, Mitgefühl löst Wärme, Weichheit und Sanftheit aus. Lasst uns daher Zeit nehmen für das Selbstmitgefühl, die Hände auf die Mitte der Brust legen und in der Stille uns selbst mit all dem Mitgefühl versorgen, das uns so sehr fehlt.

 

Eva-Maria Zander 

 

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Bild zur Meldung: Eva-Maria Zander