Pitschnass im Hier und Jetzt

Ich befinde mich am Morgen der vierten Etappe von meiner Schwarzwald-Westweg-Wanderung. Es regnet in Strömen. Vor mir liegen 24 Kilometer, meine heutige Tagesetappe. Ich bin froh um meinen Regenumhang und gehe nun von dem Gasthaus los. Es geht bergauf in Richtung Mummelsee. Dort angekommen gönne ich mir eine Pause im warmen, trockenen Restaurant. Danach geht es weiter in Richtung Darmstätter Hütte. Es regnet weiterhin ununterbrochen. Deswegen ist an Pausen im Freien nicht zu denken, da ich dann komplett auskühlen würde. Gegen Mittag erreiche ich eine Lokalität, in der ich mich aus meinen durchnässten Klamotten herausschäle und etwas esse. Leise Zweifel stellen sich ein. Ob mich aus dem Hotel, wo ich die nächste Übernachtung gebucht habe, jemand abholen würde?

Aber noch ist Aufgeben keine Option - ich möchte auf jeden Fall weitergehen. Auf der Wanderkarte ist ungefähr auf halber Wegstrecke ein Wellnesshotel eingezeichnet.

Ich beschließe, dass ich auf jeden Fall bis dorthin gehe, von dort kann ich ja immer noch den Shuttleservice anrufen, wenn ich das möchte. Ich schäle mich wieder in meine nassen Klamotten und setze meine Wanderung fort. Die Umgebung ist einfach schön, wunderbar geschwungene Waldwege, mal geht es bergauf, mal bergab. Wie am Vortag setzt nun aber auch hier dichter Nebel ein. Die Stimmung wird allmählich etwas gespenstisch. Ich gehe dennoch einfach weiter. Einen Fuß vor den anderen, so spüre ich den Waldboden unter meinen Füßen, die Regentropfen prasseln sanft auf mein Cape.

 

Mit einem Mal bemerke ich, dass meine Stiefel inzwischen mit Wasser vollgelaufen sind.

Das Laufen in ihnen fühlt sich an wie in zwei kleinen Whirlpools. Anstatt jetzt so richtig schlechte Laune zu bekommen, passiert genau das Gegenteil: Ich bin vollkommen fasziniert! Auf einmal verwandle ich mich in ein Kind von vier Jahren, das in Gummistiefeln durch die Pfützen stapft. In diesem heiteren Zustand setze ich meinen Weg fort. Da ich ja wegen des Nebels sowieso nichts sehe, konzentriere ich mich auf dieses beeindruckende Gefühl an meinen Füßen. Als ich dann irgendwann einen Wegweiser entdecke, stelle ich erstaunt fest, dass dieses Wellnesshotel auf halber Strecke bereits hinter mir liegt. Im Nebel bin ich offensichtlich daran vorbeigelaufen.

 

Die Entdeckung an meinen Füßen begeistert mich so nachhaltig, dass ich beschließe, einfach durchzulaufen bis zu meiner Unterkunft. Als ich dort an die Rezeption komme, stelle ich fest, dass ein Trockenraum sehr schön wäre, ob sie denn so einen hätten? Die Dame am Empfang führt mich in den Heizungskeller, wo ich meine Wanderstiefel über Nacht lassen kann. Abends beim Essen stellt sich heraus, dass ich mit meiner guten Laune an einem derart verregneten Tag wohl mächtig Eindruck hinterlassen haben muss. Die Dame von der Rezeption bringt mir auch das Essen an den Tisch und sucht das Gespräch mit mir. 

 

Nach diesem Tag falle ich schwer beeindruckt ins Bett. Wie ein Paar vollgelaufene Wanderstiefel plötzlich die Stimmung im Regen komplett wandeln kann und sich der Fokus aus dem Kopfkino auf die Wahrnehmung der Füße verlagert. Ganz im Hier und Jetzt. Eine unvergessliche Erfahrung.

 

Miriam Großhennig

 

 

Bild zur Meldung: © adege auf Pixabay