Wie Schmerz uns dienen kann

Als Therapeutin denke ich zunächst an die vielen Facetten des Schmerzes und wie er mit uns kommuniziert. Sein Charakter gibt uns Hinweise der Tiefe und Schwere des Geschehens. So steht ein brennender Schmerz in Verbindung mit dem Nervensystem. Ein unterschwelliger, dumpfer Schmerz, der latent vorhanden ist, zeigt uns ein tiefes pathologisches Geschehen. Der Schmerz kann wandern oder sich lokal manifestieren. Ich teile gerne den Schmerz zusätzlich in einen kalten und heißen Schmerz ein, bzw. weißen und roten Schmerz (klingt freundlicher). Der rote Schmerz ist ein hoch akutes Geschehen und deutet auf ein Trauma hin, das plötzlich erfolgt ist. Der weiße Schmerz entwickelt sich meist aus der inneren Schwere/Trägheit von Körper, Geist und Seele.

 

Wie wir unseren Schmerzen begegnen, hat sehr viel mit unserer geistigen Einstellung uns gegenüber zu tun. Wir bewerten ihn meist in einer negativen Art und Weise, weil er uns daran hindert, den automatisierten Denkprozess in uns und das damit verbundene unbewusste Handeln weiterzuführen.

 

Wir können den Sinn des Schmerzes erkennen, wenn wir ihn in unserem Bewusstsein als Konglomerat an Eigenschaften veranlagen, ihn in seine Einzelteile sezieren und ihn vor allen Dingen nicht bewerten.

Der Schmerz zwingt uns zur inneren Ruhe. Der Schmerz möchte, dass wir über ihn und seine Verbindung zu uns nachdenken. Er möchte, dass wir etwas in uns entdecken, das tief in unserem Unterbewusstsein verborgen liegt.

 

 

Der Schmerz ist unser Diener. Er zeigt uns, an welcher Stelle wir falsch abgebogen sind oder uns dem Fluss des Lebens verweigert haben. 

 

Ein kluger buddhistischer Mönch, dem ich einst in Hongkong begegnete, bezeichnete meine Knieschmerzen als Signal dafür, dass ich den falschen Weg eingeschlagen hatte und aus Bequemlichkeit daran festhielt. Der dumpfe, latent vorhandene Schmerz war mein treuer Begleiter - bis ich die Branche wechselte.

Ein nicht weniger kluger amerikanischer Pferdetrainer sprach von Grenzen, die wir unwissentlich überschreiten. Er sprach davon, dass wir diese nur dann überschreiten sollten, wenn wir eine adäquate Lösung parat hätten. Ich habe die Inhalte dieser Erkenntnis über Jahre weiterentwickelt:

“Du darfst Grenzen überschreiten, wenn du sie dir bewusst machst.“

 

Seit ich mich von den automatisierten Prozessen des Alltags entfernt habe und die Dinge bewusst mache, bleibe ich weitestgehend vom Schmerz verschont. Tritt er auf, kann ich ihn sofort zuordnen und mir Gedanken darüber machen, an welcher Stelle ich eine Grenze überschritten habe oder aber auch gehadert habe. Hadern wir, tritt der Schmerz meist in Ruhe auf. Überschreiten wir Grenzen, tritt er meist in der Bewegung auf.

Über den Schmerz können wir uns besser kennenlernen, wenn wir ihm zuhören, lässt er uns bewusster werden.

 

Gabriele Oppermann

 

 

Bild zur Meldung: © Joao Luis auf Unsplash